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Hermann Broch und Stefan Zweig: Eine Freundschaft Christine MONDON (website: https://pointernet.pds.hu/kissendre/broch/ 20060618114801150000007110.html) Hermann Broch und Stefan Zweig ist nicht nur die bürgerlich-jüdische Herkunft, der altösterreichische kulturelle Hintergrund gemeinsam; sie gehören auch zu den kontinuierlichsten Briefschreibern der deutschsprachigen Literatur der Moderne. Broch ist ein geradezu manischer Briefschreiber, ist "korrespondenzbesessen" gewesen. Paul Michael Lützeler spricht in seiner Ausgabe von einigen tausend zugänglichen Briefen des Autors (1). Donald A. Prater (2), der Biograph Stefan Zweigs, betrachtet ihn als einen der produktivsten Briefschreiber des Jahrhunderts. Lebenslang war S. Zweig ein schier unermüdlicher Briefschreiber und entwickelte, mit dem Ideal, spontan, aufrichtig und wirklich zu sein, eine "Kunst des Briefes" (B, 1920-1931, 125). Mit diesem Bestreben hat er ein umfangreiches Briefoeuvre geschaffen. Angesichts der Qualität der Briefe, die Broch und Zweig gewechselt haben, ist es erstaunlich, daß sich die Literaturwissenschaft mit ihnen bisher kaum beschäftigt hat. Ihre Biographien weisen Ähnlichkeiten auf: beide waren Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns, beide waren auf der Flucht vor den Deutschen, beide waren über ein europäisches Land geflohen. Bei so viel biographischer Parallelität und geistiger Verwandtschaft lag es nahe, daß sich bald eine Freundschaft zwischen Broch und Zweig entwickeln würde. Was ist es, das diese Korrespondenz so aufschlußreich macht ? Hier steht das Thema Literatur im Mittelpunkt der Korrespondenz, aber auch beim Lesen dieses Briefwechsels wird man in die damals aktuellen politischen Ereignisse hineingezogen und über die Lage zweier jüdischer Schicksalsgefährten im Exil dokumentiert. 1. Literarisches Treffen Wenn man vor dem Hintergrund der Freundschaft die geistigen Positionen beider Männer auskundschaftet, tun sich interessante Zusammenhänge, aber auch Divergenzen auf. Schon vom Lebensstil her sind Broch und Zweig unterschiedlich. Der junge Broch lebte "introvertiert", wie er in einem Brief an Vietta erklärt : "Ich wünschte Ihnen von ganzen Herzen, Sie könnten sich, gleich mir, einmal des ganzen städtischen Getriebes entledigen und sich aufs Land zurückziehen" (KW 13/1, 437). Der Lebensstil von Stefan Zweig, der stets bemüht war, sein Ohr am literarischen Puls der Zeit zu haben, war aber nicht introvertiert. Er schwärmte für Bücher, Bilder und Musik und genoß das unbekümmerte, anregende Leben der alten Kaiserstadt, das Broch die "fröhliche Apokalypse" genannt hat. Schon früh kennzeichnete sich Zweig durch seine literarischen Verdienste, während Broch erst 1927-28 die Entscheidung traf, Schriftsteller zu werden. Er hatte nämlich vor diesem Datum wenig publiziert, außer einigen Novellen, und er galt nicht als Schriftsteller sondern als Industrieller mit einer Neigung fürs Philosophische, Historische und schließlich auch Literarische. Mit der Veröffentlichung der Schlafwandler (1930-1932) macht er auf sich als Romancier aufmerksam, und durch die englische Übersetzung wird er auch von den literarischen Kreisen Amerikas entdeckt. Während Zweig sich über den ersten Band der Trilogie begeisterte, den Broch ihm hatte zuschicken lassen, war es augenscheinlich, daß Broch kein junger Mann mehr war und daß er den ersten literarischen Ruhm erst als Mitvierziger erntete. Demgegenüber war die Zeit von 1920 bis 1931 Stefan Zweigs produktivste und erfolgreichste. Er besaß nun ein vielfältiges literarisches Werk. Schon seit Anfang des Jahrhunderts spielte er die Rolle eines literarischen Vermittlers, übersetzte moderne europäische Lyrik ins Deutsche, schrieb Einleitungen zum Werk anderer Autoren, förderte Schriftsteller bei den Verlegern. Dadurch konnte Zweig für Broch ein wichtiger geistiger Vermittler werden und ihm literarisch raten. Wie ein roter Faden zieht sich durch Brochs Briefe an Zweig die literarische Tätigkeit. Broch kennt Zweig seit den "Schlafwandlern" und der Arbeit an seinem ersten Drama Die Entsühnung näher. Er besucht den letzteren am 12. Juli 1932 am Kapuzinerberg 5 in Salzburg. Dann kommt es in der letzten Septemberwoche des Jahres 1932 zu einem Treffen, und erneut Mitte Oktober, wo Broch den Freund über Die Entsühnung um Rat bittet 3. Dieses sozialkritische Drama, das in der Tradition der Wirtschafts- und Industriedramen der sogenannten "Neuen Sachlichkeit" steht, spielt während der Wirtschaftskrise von 1930 und zeigt die Verquickung von Finanz und Politik, die Konflikte der Kapitaleigner untereinander sowie den Kampf der Gewerkschaften (4). Im Epilog führt Broch die gesellschaftliche Krise auf die weltanschauliche religiöse Krise zurück. Zweig schlägt wichtige Veränderungen vor, wie Broch es in einem Brief an Brody hervorhebt: "Zweig hat außerordentlich gescheite Dinge zum Stück gesagt, und ich muß es umarbeiten" (HB DB, 228). Obwohl Broch diese Veränderungen als wohlbegründet anerkannte, führte er sie jedoch nicht aus: "Sein (Zweigs) Vorschlag, den Staat zur Sanierung der Filsmannwerke heranzuziehen und solcherart das Familiäre radikal auszumerzen, läuft mir irgendwie gegen den Strich, vielleicht weil dadurch das politische Moment neuerlich verstärkt werden würde, vielleicht weil mich die technischen Schwierigkeiten eines solchen Einbaus stören, vielleicht aber auch nur aus bloßem Eigensinn" (KW, 13/1, 218). Broch wollte abwarten, ob sich eine Theaterbühne zur Aufführung des Stückes finden würde. Brody, der keine Erfahrung im Umgang mit Bühnen hatte, konnte ihm nicht helfen. Er verläßt sich also auf Zweig, der ihm verspricht, seine Arbeit beim Verlag Felix Bloch Erben in Berlin unterzubringen, der dramatische Werke herauszugeben (5) pflegte. In einem Brief vom 11 November 1932 schreibt Broch : "[...] So bitte ich Sie, an Bloch in Ihrem Sinne zu schreiben, mir aber zu sagen, ob ich das Manuskript an Sie oder direkt an Bloch schicken soll" (Broch 32:7) (6). Jedoch schlug das Projekt fehl, und Broch sollte selber die Lancierung des Dramas in die Hand nehmen. Zweig verhalf aber dem Freund zur Publikation der Joyce-Rede in Wien bei Herbert Reichner, weil Brody sich weigerte, die Druckfassung, deren Einleitung sich vor der Fassung der Rede unterschied, im Rahmen seiner Essay-Sammlung herauszugeben. Ein Brief an Daniel Brody berichtet über Zweigs "positive Einstellung zu der Rede" (22. April 1922) (KW, 13/1, 218; 399). Broch legt Wert auf Zweigs Urteil. 1934 hat schon die Arbeit am Roman Die Verzauberung begonnen, und in der folgenden Zeit ist Zweig am Bergroman beteiligt (KW, 13/1, 378, 391,487) ; (KW, 13/2, 75). In einem Brief (KW, 13/2, 391) erfährt Zweig über Brochs Projekt, ein geschichtsphilosophisches Buch mit dem Titel Zur Erkenntnis dieser Zeit zu schreiben (26. 2. 1936), das seine verschiedenen kulturkritischen und literarischen Essays aus den dreißiger Jahren zu einem Buch zusammenfassen und ausbauen sollte. Dieser Plan war aber nicht ausgeführt. Das philosophische Buch wurde nämlich in Die Schlafwandler verwirklicht und besonders im dritten Teil des Romans, wo Broch Philosophie und Roman verquickt und eine tiefschürfende Analyse über seine Zeit gibt. Über den Vergil haben sich die beiden oft unterhalten. Broch gab ihm das Manuskript der damals entstehenden dritten Vergil-Fassung zu lesen und sprach ihm von seiner Absicht, den Vergil ins Englische übersetzen zu lassen. Zweig verspricht dem Freund in einem Brief vom 7. Mai 19397, er werde an das Ehepaar Edwin und Willa Muir schreiben, die schon Die Schlafwandler und Die unbekannte Größe übersetzt haben. Im Mai 1940 ist Willa Muir todkrank und arbeitsunfähig. Broch hatte Jean S. Untermeyer bereits in Yaddo ersucht, die Elegien zu übersetzen. In New York übergibt Broch Zweig die Untermeyersche Übersetzung der Schicksals-Elegien. Nach Jean Starr Untermeyer war Zweig enthusiastisch, er meinte, es sei eines der größten Werke in Europa, bezweifelte aber die Möglichkeit einer Übersetzung. Als Broch ihm jedoch die Übersetzung der Elegien zeigte, die Mrs. Untermeyer schon verfertigt hatte, wurde er für diese Idee gewonnen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß Zweig seinen Freund finanziell unterstützt hat (Broch Ud : 4)8, damit er seinen Roman vollenden könnte. Denn die Veröffentlichung des Romans war ein schwieriges Problem, und Zweig hatte sich bis dahin als der gute Vermittler erwiesen. In einem Brief schreibt Broch an Zweig : "Ich habe Ihnen übrigens noch für etwas zu danken: Der Verkauf der "Unbekannten Größe" an die Viking Press ist perfekt geworden, und ich weiß, daß dies sicherlich auch Ihrem Einfluß dort zu verdanken ist" (KW, 13/1, 290-91). Seit den 20er Jahren waren englische Übersetzungen der Werke Zweigs bei der New Yorker Viking Press erschienen, deren Mitbegründer Huebsch mit Zweig befreundet war. In einem Brief Brochs an Zweig : "Ich habe an Huebsch [...] vor einiger Zeit geschrieben, - sollten Sie ihn zufällig sehen oder sprechen, so wäre ich Ihnen sehr verpflichtet, wenn Sie meine darin ausgesprochenen Wünsche unterstützen wollten" (KW, 13/1, 291, 1. 8. 1934). Zweig ist für den Vergil bereitwillig eingetreten8, und es war ihm um so leichter, als Broch bei dem Verleger nicht unbekannt war. Huebsch hatte nämlich Die Unbekannte Größe veröffentlicht, die ein Mißerfolg gewesen war. Nach Paul Michael Lützeler erhielt Huebsch das Manuskript der dritten Fassung des Vergil sowie den Selbstkommentar im August 1939. Aber die Aussichten verschlechterten sich. Aus einem Brief vom 19. 2. 194010 äußerte Broch seine Befürchtungen, die wohl begründet waren : vor Ende des Jahres trat Huebsch von dem Unternehmen zurück. Broch fand letzlich Kurt Wolff als Verleger, der die überarbeitete deutsche Fassung und deren englische Übersetzung von Jean Starr Untermeyer im Jahre 1945 veröffentlichte. Zweig hat den Vergil geschätzt. Sein Gutachten über das Werk lautet wie folgt : "Hermann Brochs Death of Virgil ist ein einmaliges Buch. Es gehört in keine Kategorie, weil es sie alle in einer grossartigen dichterischen Synthese verbindet - Erzählung, Lyrik, Philosophie, Historie, psychologische Beobachtung, kulturellen Ausblick. [...] Ein Dichter stirbt und in seinem Tod erscheint sein ganzes Leben und über dies Leben hinaus die ganze Zeit und zugleich die Probleme aller Zeiten. [...] Es gilt nicht für die Vielen, wenn man damit die rasch zuströmende und ebenso rasch wieder wegströmende Masse der Leser meint [...]."11 Zweig erkennt sowohl die brillante Synthese zwischen verschiedenen Gattungen, die Broch hier verwirklicht, als auch den einzigartigen Wert des Vergil, der über seine Zeit hinausreicht und eine zeitgenössische Relevanz hat. Broch zufolge weise der Vergil "mancherlei Analogien zu den Geschehnissen unserer Zeit" auf (Der Tod des Vergil, KW 4, 457). Zweig scheint aber zu übersehen, daß die Annäherung an den Tod besonders akut in dieser "todesträchtigen Zeit" ist (Der Tod des Vergil, KW, 4, 472). Er bringt auch unter Stillschweigen die Tatsache, daß Broch an der Rolle der Kunst und der Literatur durch die Figur des Vergil zweifelt, der droht, seine Äneis zu zerstören. Zuletzt bleibt Zweig einer elitären Haltung treu, wenn er annimmt, daß die Schwierigkeit des Romans ihn von der Masse endgültig entfernt, während Broch trotz des esoterischen Charakters seines Romans die Meinung vertritt, er könne größere Leserschichten gewinnen, "denn es gehört zur sozialen Aufgabe der Kunst und der Erkenntnis, das Schwerverständliche verständlich zu machen" (Der Tod des Vergil, KW 4, 464) . Broch seinerseits hat Zweigs Talent als Schriftsteller anerkannt. Er liebt den "Erasmus" "über alle Maßen" (KW, 13/1, 399). In jener Gestalt der europäischen Geschichte und Kulturgeschichte sind Zusammenhänge zu der Situation der Zeit kaum zu verkennen (KW, 13/1, 399, 424). Zweig spricht in diesem Werk nicht als Geschichtslehrer, nicht als Aufklärer, sondern als ein an der Welt Leidender und Verunsicherter, der sich und den Lesern allenfalls Trost, aber keinen Mut zum Handeln vermitteln konnte. Er bedauert, daß die Geschichte an diesem stillen Diener des Humanen fast verächtlich vorbeigesehen" (E, 22) habe und lobt ihn als den "Mann der Mitte" (E,17), als einen Vermittler, der "in einen der wildesten Ausbrüche nationalreligiöser Massenleidenschaft herabgerissen wurde" (E, 16). Broch bewundert auch das Werk Castellio gegen Calvin (KW, 13/1, 423-424), das er Juni 1936 bekommt, und ist von dessen Toleranzideal angetan. Über den "Magellan" schreibt er : "Selten ist das Wesen der Genialität so tief und so durchsichtig erfaßt worden, wie Ihnen dies beim Magellan geglückt ist" (KW, 13/1, 485). Magellan gehört zu jenen friedlichen Helden im Dienst der Menschheit, zu den unfanatischen Pionieren. Broch gratuliert zuletzt dem Freund für die Freud-Rede, die Zweig anläßlich dem Tode Freuds geschrieben hat (KW, 13/2, 151). Zweig hatte sich schon zu Freuds Lebzeiten mit dessen Lehre auseinandergesetzt und war von seiner Theorie und Praxis nicht in allen Punkten überzeugt. Trotz seiner kritischen Vorbehalte hat Freud seinen Blick für die seelische Wirklichkeit geschärft. Broch und Zweig waren gewissenhafte Leser, und die Bücher, die ihnen zugeschickt wurden, wurden besprochen. In einem Brief an Willa und Edwin Muir vermerkt er : "Ferner hat mir Stefan Zweig, der kürzlich hier einen Vortrag gehalten hat, von einem Roman "Versuchung in Budapest" von Körmendi gesprochen, der jetzt bei Propyläen-Ullstein herauskommen und, wie Zweig sagt ausgezeichnet sein soll" (KW, 13/1, 232). In einem anderen Brief gesteht er, daß er nie das Buch gelesen hätte, wenn ihn nicht Stefan Zweig darauf hingewiesen hätte. Aber was ihn im Buch Körmendis fasziniert hat, sind die metaphysischen und religiösen Fragen. Für Brochs persönlichen Geschmack ist seine Antwort auf eine Rundfrage im Jahre 1934 besonders kennzeichnend : "Wer immer im Verlaufe der nächsten zehn Jahre nach den wertvollsten und eindrucksvollsten deutschen Büchern gefragt werden wird, wird das Oeuvre Thomas Manns, wird das Werk Robert Musils nennen müssen." Wie sehr Broch (und auch Zweig) immer wieder für Musil eingetreten sind und sich für dessen Werk eingesetzt haben, ist bekannt : "Zweig und ich sind uns in der unbedingten Hochschätzung des Musilschen Werkes einig, und Zweig dürfte auch wissen, daß ich stets und überall für Musil eingetreten bin, nicht nur in einigen Publikationen sondern auch mit meinen (leider bisher erfolglosen) Bemühungen bei den verschiedenen Verlegern, den Mann ohne Eigenschaften zu den ihm gebührenden englischen Übersetzungen zu bringen" (KW, 13/2, 90). Die Liebe zu Dostojewski haben auch die beiden geteilt : Zweig hat dem russischen Schriftsteller ein Essay gewidmet, während Broch wegen Zeitmangel sich mit ihm nicht auseinandergesetzt hat (Brief vom 14. 11. 46). Zweig hat nicht nur die Rolle des Vermittlers gespielt, er hat auch den Freund über seine Projekte im Laufenden gehalten. Zweig schwebt vor, während des dritten Reiches die antifaschistischen Verlage zu einem einzigen zusammenzuschließen, um den Publikationen mehr Gewicht zu geben. Es sollte ein Gründungstreffen von einem Dutzend gleichgesinnter Schriftsteller im Juli 1933 in der Schweiz stattfinden (darunter Broch KW, 13/1, 241), wobei ein Manifest erarbeitet und der Verlag gegründet werden sollte. Das Vorhaben wurde aber nicht verwirklicht (BF, 229-34). Broch teilt seinem Freund Alban Berg im August 1933 mit : "Vorderhand schließe ich die Augen vor dem Faktum, daß man wahrscheinlich ins Leere arbeitet" (KW, 13/1, 247). Zweig hatte ein anderes Projekt, eine Zeitschrift auf Deutsch zu gründen, die ein Organ der emigrierten Schriftsteller werden sollte. Trotz einiger Einwände stimmte Broch mit dem Plan überein (KW, 13/1, 400), der nicht in Erfüllung ging. Zweig war ein guter und hilfreicher Mensch, an den sich Broch trotz der Entfernung gewandt hat. Wie ist der Weg beider gelaufen ? 2. Der Weg ins Exil Wie haben die beiden Schriftsteller auf die ersten Jahre der faschistischen Herrschaft reagiert ? Im Jahre 1933 charakterisiert Broch in einem Brief an Zweig "die ganze Bewegung die wir so schmerzlich mitmachen" als eine "notwendige Entwicklungsphase des gesamten abendländischen Geistes" (KW, 13/1, 241). Er hält sich an die Richtlinie seiner theoretischen und geschichtsphilosophischen Modelle, um die Gegenwart zu analysieren. Knapp eine Woche nach den Februarereignissen des Jahres 1934 schreibt er : "Es ist beinahe unmöglich, über die Ereignisse der letzten Tage etwas zu sagen, obwohl man vom Krieg her doch noch an alles mögliche gewöhnt sein könnte" (KW, 13/1, 280). In den ersten Jahren nach der Machtergreifung vermeidet er öffentlich Partei zu ergreifen. In den dreißiger Jahren will Zweig Politik nicht zur wichtigsten Sache in seinem Leben werden lassen. Im Januar 1932 schreibt er : "Die Menschen in Deutschland haben mehr Angst als nötig. Nichts wird dort geschehen. Ich fürchte die Hitleristen nicht, selbst wenn sie zur Macht gelangen" (Rolland/Zweig, II, 1987, 401). Aber bereits Ende März muß er zugeben : "der Sieg der Reaktion ist vollendete Tatsache" (Rolland/Zweig, II, 455). 1933 sind Zweigs Bücher bei den NS-Bücherverbrennungen auf den Scheiterhaufen gekommen. Sein Entschluß, Österreich zu verlassen und ins Exil zu gehen, ist gefaßt, und er reist nach London ab, während Broch im Lande bleibt. In einem Brief an Broch drückt er seinen politischen Überdruß aus : "Ich bin manchmal gegen das Politische, die Nerven reagieren nicht mehr auf Überschriften [...]"12. Über den bevorstehenden Krieg berichtet er: "Mein politischer Pessimismus ist maßlos. Ich glaube an den nahen Krieg wie andere an Gott.[...] Ich klammere mich an das letzte Stück Freiheit, da wir noch genießen" (BF, 247). Die Frage drängt sich auf, warum Broch nicht emigriert hat. Schon ein halbes Jahr vor Hitlers Machtübernahme hatte er nämlich erwogen, nach England zu emigrieren (KW, 13/1, 200). Angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland und Österreich trägt er sich im August 1934 wieder mit den Emigrationsplänen. Dem im Londoner Exil weilenden Zweig schreibt er : "Ich beneide Sie sehr darum, denn hier herrscht wahrlich alles andere denn eine für die Arbeit günstige Atmosphäre" (KW, 13/1, 291). Broch hat wahrscheinlich nicht emigriert, einerseits wegen Familienverhältnisse und andererseits weil er immer noch die Hoffnung hegt, Hitler könnte von einem Anschluß abgehalten werden. Aber es kann kaum bezweifelt werden, daß ihm die Ereignisse der Welt im allgemeinen und die vom "Februar und Juli 1934 im speziellen" "unter die Haut gegangen sind" (KW, 13/1, 299). Aber am Morgen nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wird er verhaftet. Nach seiner Entlassung bemüht er sich um Visen nach Frankreich, England, Dänemark, in die Schweiz und die USA, und dies mit wenig Erfolg. Aber wohin kann sich Broch flüchten ? Er schreibt an Zweig : "Wohin noch? Sie haben die Möglichkeit nach Südamerika zu gehen, doch sind Sie ein Ausnahmefall" (KW, 13/2 , 28). Am 20. Juli 1938 trifft das englische Visum ein, und Broch verläßt Österreich als mittelloser Emigrant. Im Flugzeug nach England überkommt ihn die Trostlosigkeit seiner Lage : "Nun da ich schweb'' im Ätherboot/und da ich aufatmen kann,/da packt sie mich/da packt sie mich/ da packt sie mich noch einmal an,/die rohe Flüchtlingsnot" (KW, 8, Im Flugzeug von Österreich nach England, 82). In London mietet er ein Zimmer im Kensington Stadtteil. Zunächst ist er "nahezu völlig apathisch" (KW, 13/2, 18) und schreibt seine ersten Briefe an Zweig (KW, 13/2, 11) . Mit Alma Mahler besucht er den Freund, der ihm seine Unterstützung gewährt. Am 3. August akzeptiert Broch die Einladung seiner Uebersetzer und Freunde Edwin und Willa Muir in Schottland und unternimmt kleine Ausflüge. Er ist von dem Antisemitismus schockiert und berichtet darüber den Freund in einem Brief vom 11. September 1938: "Ich aber bin in den Highlands gewesen, also in Gegenden, wo der Großteil der Bevölkerung noch niemals einen Juden gesehen hat (KW, 13/2, 27). Am 21. September 1938 erhält Broch sein amerikanisches Visum und da der Krieg bevorsteht, schifft er sich am 2. Oktober 1938 nach den Vereinigten Staaten ein. Bald nach der Ankunft bemüht er sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Flucht und die Existenzunsicherheit führen zum physischen Zusammenbruch Brochs (KW, 13/2, 63-64). Dazu kommt die Sorge um die Daheimgebliebenen (die Mutter), um das Schicksal Europas und die Heimatlosigkeit. Zweig erlebt auch depressive Phasen. Außer der Arbeit reißt ihn das Reisen aus melancholischen Stimmungen. Er akzeptiert eine Einladung des internationalen Pen-Clubs in Brasilien und erreicht im August 1936 den Hafen von Rio de Janeiro. Von Brasilien ist er verzaubert. Hier glaubt er eine Art konkrete Utopie verwirklicht, nämlich das friedliche Zusammenleben verschiedener Rassen im Verband einer einzigen Nation. Nun erkennt er, daß es nicht mehr genügt, europäisch zu denken, und das südamerikanische Land erscheint ihm als zukunftsträchtiges Modell für die geistige und kulturelle Gemeinschaft aller Menschen. Aber Zweig hat keinen Blick für die sozialen Probleme und die politische Wirklichkeit. Er ästhetisiert das soziale Elend und die politischen Mißstände. Broch schreibt an den Freund : "Und überdies : sind diese südamerikanischen Länder überhaupt geeignet, eine Rückzugsstellung auszubauen? Kann man sich vorstellen, daß dort der neue Hort der Humanität werde? Ich kann es mir nicht vorstellen, denn ich sehe, was in Chile usw. vor sich geht" (KW, 13/2, 28.) In England fühlt sich Zweig als Ausländer, und diese Lage schmerzt ihn. Aber wohin fliehen ? Für wen soll er noch schreiben ? 1939 erwirbt er die englische Staatsbürgerschaft und bezieht mit seiner zweiten Frau das Haus Rosemount in Bath. Aber unter dem Druck von Hitlers Siegen in Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich beschließt er mit seiner Frau das invasionsbedrohte England zu verlassen. 1940 kommen die Zweigs in die Vereinigten Staaten. Die erste Zwischenstation ist New York. Zweig mag New York nicht sehr und reist nach einem vierwöchigen Aufenthalt nach Rio. Zu Beginn des Jahres 1941 begibt er sich wieder nach New York, wo er sich für die Hilfsorganisation Emergency Rescue Comittee einsetzt. Ende Juni 41 mieten die Zweigs eine kleine Villa in Ossining und leben dann in Petropolis. Seit Jahren hatten sie sich nicht zu Hause gefühlt. Erst jetzt glauben sie ein Gefühl der Seßhaftigkeit gefunden zu haben. Broch und Zweig haben die Gelegenheit gehabt, sich in London und in New York zu treffen. Immer neu werden die Schwierigkeit des Lebens und die Arbeit im Exil diskutiert. Broch empfindet manchmal ein gestörtes oder zumindest befremdendes Verhältnis zu seiner Arbeit und hat zuerst in Bescheidenheit, ja Dürftigkeit gelebt. Die Briefe lesen sich wie Appelle an sich selbst, durchzuhalten, das Emigrantenleben zu meistern und neue Lebensinhalte zu finden, ohne dabei die künstlerische Mission zu vernachlässigen. Denn die dichterische Produktion war die einzige Möglichkeit, zu überleben und im Falle Brochs sich einen Namen und ein Publikum zu schaffen, um die Rezeption seiner theoretischen Schriften vorzubereiten, die ihm wichtiger als die dichterischen geworden sind. Die politischen Probleme, die internationale Lage sind ein häufiges Diskussionsthema gewesen. Broch kommt auf die Erfahrung, daß "die Welt auf den Philosophen und Dichter nicht mehr hört, weil sie seine Sprache nicht mehr, sondern nur mehr die politische versteht" (KW, 13/1, 361). Die Beteiligung am "Ringen um die neue Religiosität" (KW, 13/1, 238) und was er noch am Beginn seiner Arbeit an der "Verzauberung" hatte gelten lassen, dies hatte sich als Irrweg erwiesen. Durch seine Schwierigkeiten mit dem Roman hat er eine politische Haltung entwickelt. Der Schriftsteller ist nun ein Mensch der Öffentlichkeit und ohne dieses Engagement kann er nicht seine dichterische Arbeit besorgen. Konstitutiv für diese neue Auffassung ist seine Erkenntnis, daß dem Nationalsozialismus nicht auf literarischem sondern auf politischem Gebiet zu begegnen sei. In seinen Briefen an Zweig drückt Broch immer mehr seine Skepsis gegenüber der Literatur aus, weil er von den Fähigkeiten des modernen Romans nicht mehr überzeugt ist : "Es gibt für den erkennenden und schreibenden Menschen eigentlich nur mehr zwei Themen: das politische und das religiöse. Und da das zweite beinahe unzugänglich ist, noch unzugänglich, kraft unserer verschütteten Religiosität, so tritt das Politische immer mehr in den Vordergrund" (KW, 13/1, 399). Dieser Brief wurde während der Zeit, da er an dem Bergroman arbeitet, geschrieben. In einem Brief vom 18. 8. 39 berichtet er von seiner immer größeren Neigung fürs Politische : "Es brennt mich das Politische immer mehr und mehr, vielleicht auch nur, um nicht völlig grundlos erschlagen zu werden" (KW, 13/2, 131). In einem Brief auf Englisch: "I am loosing all interest in purely literary things [...] My only interest concerns my philosophy of politics" (KW, 13/2, 205). Die Frage, "ob Dichten heute noch eine legitime Lebensaüßerung" (KW, 13/2, 238) sei, zieht sich leitmotivartig bis zu seinem Lebensende durch die Korrespondenz. Der Briefwechsel zwischen Broch und Zweig ist darauf gerichtet, dem Frieden zu dienen. Schon vor seiner Reise nach Amerika arbeitete Broch an einer Völkerbund-Resolution, die er Zweig geschickt hattte. Es geht ihm um eine Neufundierung des demokratischen Gedankens, und er will konkret in die politische Entwicklung eingreifen. Zweig hat den Plan sorgfältig durchlesen und kommentiert (B 1932-1942, 243-44). In einem unveröffentlichten Brief schreibt er an Broch : "[...] Ich weiß nicht, ob es genügt, innerhalb der alten Demokratien die Organisation zu erneuern, weil doch die Demokratien, die früher die Weltmeinung ausdrückten, nunmehr im organischen Widerstand gegen die andere Hälfte der Welt stehen"13. Broch kannte Zweigs Einwände : "Ich weiß, daß Sie mit meinen politischen Aspirationen nicht einverstanden sind, und ich war selber sehr unsicher ob der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges" (KW, 13/2, 73). Broch publizierte die Resolution nicht, weder auf Deutsch noch auf Englisch. "Der politische Effekt von Brochs Resolution war gleich Null. Sie war eigentlich keine Resolution im engeren Sinne, sondern eher ein politologisches, rechtsphilosophisches und ethisches Traktat." (B, 212-213) Aber die Resolution ist der Ausgangspunkt für Brochs spätere Untersuchungen zum Thema Menschenrecht und Demokratie. Zu dem Versuch einer theoretischen Neubegründung der Demokratie liefert die Studie zur Diktatur der Humanität innerhalb einer totalen Demokratie (1939) einen wichtigen Beitrag. Dem Vorsatz, Einfluß auf seine Zeit zu haben, konnte Broch nur durch seine Doppelproduktion nachkommen, die in englischer und deutscher Sprache veröffentlicht werden mußte. Dafür schrieb er mehrere Memoranden: Vorschläge für den Council for Democracy, Vorschlag für ein Gesetz zum Schutze der Menschenwürde, Vorschlag zur Gründung eines Forschungsinstitutes über Massenwahn, Gründungsaufruf für eine internationale Universität, die auf die Bekämpfung des Faschismus zielen. Die knappe Abhandlung Ethical Duty (1940) trägt den Stempel des BrochschenEngagements : es ist ein Appell, sich für die Erhaltung der gefährdeten Demokratie politisch einzusetzen. Im gleichen Jahr liefert Broch einen Beitrag zur City of Man, einer "Gruppe, die es sich zum Ziele gesetzt hat, eben die Bedingungen für eine Neufestigung des demokratischen Gedankens zu erforschen und von allen Aspekten her zu beleuchten" (KW, 11, 91). Er befaßt sich in der Abhandlung mit der partiellen Realitätsblindheit des Marxismus, warnt vor totalitären Folgen des Kapitalismus und stellt die Idee einer entkapitalisierten Privatwirtschaft zur Diskussion. Im Zusammenhang mit Brochs Aktivität bei der City-Man-Gruppe stehen auch seine massenpsychologischen Arbeiten. Broch berichtet Zweig über sein Massenwahnprojekt, das ihn viele Jahre lang beschäftigen wird, über seine Reise nach Yale und seine künftige Bekanntschaft mit dem Psychologen Oeser (KW, 13/ 2, 73). Bezeichnend für Zweigs Geschichtsverständnis war, daß er die Vergangenheit allein unter personalem Gesichtspunkt sah und die psychologische Deutung suchte, dabei aber die wirkenden politischen, ökonomischen und sozialen Prozesse vernachlässigte. Entweder verdichtete sich für ihn die Geschichte in herausragende historische Momente, wie in seinem erfolgreichen Buch Sternstunden der Menschheit. Zwölf historische Miniaturen, oder zu tragischen Lebensläufen, in denen der einzelne einem übermächtigen Schicksal ausgeliefert ist, wie in seinen historischen Biographien. 1934 war Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam erschienen, dieses Plädoyer für die Unabhängigkeit des Geistes. Die Niederschrift des Erasmus fällt also mit dem Anfang der Exiljahre. Zweig betrachtet Erasmus als sein großes Vorbild und alter ego, und diese Wesensverwandtschaft hat Broch zwischen den beiden erahnt. In den Augen Zweigs war Erasmus der erste Europäer, ein Aristokrat des Geistes, dessen Interessen die Grenzen von Rasse, Religion und Nation überwanden. Er war ein bedeutender literarischer Theoretiker des Pazifismus. Sein Lieblingsplatz war wie Zweig "über dem Getümmel". Handeln konnte er nicht. So nimmt es nicht wunder, daß er die Tagespolitik verachtete. Aber er stand auch wie Zweig den zerstörerischen Kräften hilflos gegenüber. Zweig ist sich seiner Schwächen bewußt. Als bedeutendsten Vertreter des europäischen Humanismus, als tragischen Helden stellt Zweig Erasmus dar, berücksichtigt dabei Erasmus'' Standpunkt der "neutralen Mitte", was er als das "Erasmische" (E, 14), d.h den Willen zur Verständigung, bezeichnet. Broch sieht gerade in Zweig den Vertreter dieses erasmischen Geistes, der die "Synthese des Politischen und des Religiösen" (KW, 13/1, 399) verwirklicht. Die Parallelen zur Zeitgeschichte sind bei Castellio gegen Calvin greifbarer als im Falle des Eramus. Calvin wird unmittelbar als politischer Machtfaktor dargestellt, als ein Führer. In der Figur des Castellio schildert Zweig ein bettelarmer, fast unbekannter Gelehrter, ein Emigrant, der den Mut hatte, dem Tyrannen Calvin entgegenzutreten. In Castellio sieht er nicht den Menschen, der er war, sondern den Mann, der er "sein möchte" (BF, 286). Im Gegensatz zu Erasmus ergriff Castellio Partei und wagte sein Leben, indem er Calvin im Namen der Menschlichkeit und des Rechtes als Mörder des Michael Servet anklagte. Für Zweig werden Luther und Calvin zu Symbolen der inhumanen, fanatischen Diktatur des 20. Jahrhunderts. Er analysiert dabei die psychologischen Wurzeln der modernen Diktatur, die sich auf die Sehnsucht der Menschen nach einem unproblematischen Dasein gründen. Zweigs Castellio wurde als Solidaritätserklärung für den antifaschistischen Kampf verstanden. Im brasilianischen Exil schreibt Zweig über Montaigne, mit dem er sich nun identifiziert, mit dem "homme libre", mit dem Vorkämpfer für die innere Freiheit : "Mich lockte sehr, über Montaigne zu schreiben, den ich jetzt viel und mit großem Genuß lese, ein anderer (besserer) Erasmus, ganz ein tröstlicher Geist" (BF, 334). Zweig hat während seiner Exiljahre immer mehr unter dem "Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit gelitten" (BF, 315), weil er überzeugt war, daß er seine Heimat nie mehr sehen würde. So war er immer mehr niederschlagen und litt unter der politischen Unsicherheit (das Verb "treiben" kommt in seiner Korrespondenz oft vor) (BF, 315, 318). Er sah ein kommendes Unheil voraus und floh stets in die Arbeit. Zwei Monate vor seinem Selbstmord versuchte er noch einmal den Freunden die Hoffnungslosigkeit seiner Lage zu veranschaulichen : "[...]Ich bin [...] total verzweifelt. Unsere Welt ist zerstört und das Grauenhafte kommt erst nach dem Kriege [...] Die Generation für die ich sprechen durfte hat keine Erben, keine Hörer [...]" (B 1932-1942, 332). Nach Pearl Harbour verzweifelte er und nahm sich das Leben mit seiner Frau. Zweigs Credo war der Ewige Friede. In den Jahren nach 1918 glaubte er noch an die Verwirklichung von Frieden und Völkerverständigung. Aber die skrupellose und erfolgreiche Eroberungspolitik der Nazis machte ihm das Scheitern seiner Hoffnungen deutlich. Für Zweig war der Krieg das absolut Hassenswerte. Zu Beginn des zweiten Weltkriegs war er pessimistisch und verzagt, obwohl er in Brasilien sehr geschätzt wurde. In Petropolis vermisst er die interessanten Gespräche mit Broch; sehr selten erreichen ihn Briefe, weil die Postverbindungen schlecht waren: "Leid ist es mir, von Amerika Broch nicht hier zu haben" (BF, 329). Und er mußte erkennen, daß sein idealistischer Humanismus durch den Gang der Geschichte, durch den zweiten Weltkrieg widerlegt war. Seine Vision von einem grenzenlosen Europa, von einer übernationalen Gemeinschaft hatte sich als Illusion entlarvt. Er hatte immer, wie in Erasmus, ein Mann der Mitte sein wollen und deshalb nicht gelernt, daß man in solchen Zeiten nicht auf einem bildungsaristokratischen Standpunkt beharren durfte, sondern auch Partei ergreifen, ja sich einmischen mußte. Die sorglose "Welt von Gestern", die er in seiner Autobiographie 1941 rein aus dem Gedächtnis geschrieben hatte, war einer Welt ausgreifender Kriege gewichen. Im Unterschied zu Zweig hoffte Broch doch immer noch, durch seine politischen Schriften auf das Nachkriegsdeutschland Einfluß zu haben. Sein Traum von einem neuen Europa und einer neuen Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Demokratie blieb aber unerfüllt. Das Exil bietet einen Nährboden für das Briefeschreiben. Eine extreme Lebenssituation wird verlangt, die den Schreibenden dazu veranlaßt, Kontakte mit vertrauten Personen aufzunehmen 14.: "[...] Dank [...] für die wertvolle Freundschaft [...], Dank für die kostbaren Stunden, die mir diese Freundschaft geschenkt hat" (KW, 13/1, 221), "der Wert wirklicher menschlicher Beziehung ist für mich unendlich gewachsen. Und ebendeswegen zähle ich gerade Sie zu meinen schönsten Bereicherungen", schreibt Broch an Zweig (KW, 13/2, 76). Der Beginn einer eindringlichen Freundschaft zweier verwandten Seelen schlug sich bis zum Tode Zweigs nieder. Die Korrespondenz vermittelt den Willen zur Hilfe beider, ihren Respekt vor der Überzeugung des anderen, die ethische Integrität, die intellektuelle Wachsamkeit mitten im Chaos. Hier finden sich wichtige Urteile über ein Stück Geschichte und Literaturgeschichte. ANMERKUNGEN : Bibliographische Hinweise : Hermann Broch, Kommentierte Werkausgabe, Hrsg. v. Paul Michael Lützeler (Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1974-81), zit. mit der Abkürzungssigle KW. Daniel Brody - Hermann Broch, Briefwechsel 1930-1951, Hrsg. v. Bertold Hack und Marietta Kleiß (Frankfurt am Main : Buchhändler- Vereinigung, 1971), zit. mit der Abkürzungssigle HB DB. Paul Michael Lützeler, Hermann Broch, Eine Biographie, (Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1985), zit. mit der Abkürzungssigle B. Stefan Zweig, Briefe 1920-1931, Hrsg. v. Knut Beck und Jeffrey B. Berlin, (Frankfurt am Main : S. Fischer Verlag, 2000), zit. mit der Abkürzungssigle B 1920-1931. Stefan Zweig, Briefe 1932-1942, Hrsg. v. Knut Beck und Jeffrey B. Berlin, (Frankfurt am Main : S. Fischer Verlag, 2005), zit. mit der Abkürzungssigle B 1932-1942. Stefan Zweig, Briefe an Freunde, (Frankfurt am Main : S. Fischer Verlag, 1984), zit. mit der Abkürzungssigle BF. Romain Rolland/Stefan Zweig, Briefwechsel II, 1910-1940, (Berlin 1987), zit. mit der Abkürzungssigle Rolland/Zweig, II. Stefan Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, (Frankfurt am Main : S. Fischer Verlag, 1982, 2. Auflage), zit. mit der Abkürzungssigle E. 1 Paul Michael Lützeler, "Zu den Briefen", in : ders., Die Entropie des Menschen. Studien zum Werk Hermann Brochs, (Würzburg : Königshausen & Neumann, 2000), 133-195 ; Sigurd Paul Scheichl, "Hermann Broch als Briefschreiber", in: Adrian Stevens (Hrsg.), Hermann Broch. Modernismus, Kulturkrise und Hitlerzeit. Londoner Symposion 1991 (Innsbruck : Institut für Germanistik, 1994), 187-204. 2 Vgl. Donald A. Prater, European of yesterday ; a bibliography of Stefan Zweig,( Oxford, 1972), 360 ; Randolph J. Klawiter, Stefan Zweig a bibliography, (Chapel Hill, 1965). 3 Das Stück wurde weder in England noch in Österreich aufgeführt. Die Uraufführung fand 1934 in Zürich statt. 4 Während die Männer Ideologien verfallen sind, kommen nur die Frauen zur Synthese zwischen Verstand und Gefühl. 5 Der Verlag hatte 1925 die Erstausgabe von Zweigs Volpone und 1929 Die Flucht zu Gott gedruckt. 6 Dieser Brief befindet sich im Stefan-Zweig-Archiv der State University of New York, Fredonia, mit der Signatur Broch 32: 7. Zitiert von David Turner, "Stefan Zweig und Hermann Brochs Der Tod des Vergil. Unveröffentlichtes zur Publikationsgeschichte eines Romans", in: Zeitschrift für deutsche Philologie (Band 109, Heft 4), 530. 7 Brief vom 7. 05. 1939 (Grand Pump Room Hotel Bath) ( Stefan-Zweig-Archiv in London). 8 Dieser Brief befindet sich im Stefan-Zweig-Archiv mit der Signatur Broch Ud:4. Zitiert von David Turner, 532. 9 Schon 1933 hatte Broch versucht, Huebsch für Die Unbekannte Größe zu gewinnen. Brief vom Dezember 1933. Vgl. "The correspondence of Stefan Zweig with Raoul Auernheimer (Hrsg. von Donald G. Daviau und Jorun B. Johns) and with Richard Beer-Hoffmann" (Hrsg. von Jeffrey B. Berlin), (Columbia, 1983), 190. Vgl. Thomas Eicher (Hrsg), Stefan Zweig im Zeitgeschehen des 20. Jahrhunderts, (Oberhausen:Athena Verlag, 2003). 10 Broch 40 : 1 : "So I have the impression, that giving him now the finished manuscript, he would keep it weeks and months, probably without reading it, and that he will return it afterwards, remarking that it is too difficult for the american reader". Zitiert von David Turner, 534. 11 Zitiert von David Turner, 536. 12 Dieser Brief vom 7. 05. 1939 (Grand Pump Room Hotel Bath) befindet sich im Stefan-Zweig-Archiv in London und wird hier mit der Genehmigung des Archivs zitiert. 13 Dieser Brief vom 7. 05. 1939 (Grand Pump Room Hotel Bath) befindet sich im Stefan-Zweig-Archiv in London und wird hier mit der Genehmigung des Archivs zitiert. 14 Vgl. Albrecht Goes, Über das Briefeschreiben. Von Mensch zu Mensch, (Frankfurt am Main : S. Fischer, 1952) 64; Albert Wellek, "Zur Phänomenologie des Briefes", in: Die Sammlung (15, 1960), 339-355. |