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02.03.2009

Buchrezension: Serpa Pinto, das Schicksalsschiff


Eine Woche, nachdem Stefan Zweig zum zweiten Mal nach Brasilien kam, legte am 29.08.1940 an der Praça Mauá in Rio de Janeiro das portugiesische Passagierschiff Serpa Pinto mit 420 Flüchtlingen an Bord an. Darunter war auch der aus Rumänien gebürtige, französisch schreibende Autor Leopold Stern, der in Brasilien nicht nur ein aktives Mitglied des dortigen P.E.N.-Clubs werden und u.a. das Werk Rio de Janeiro et moi verfassen sollte. Er sollte darüber hinaus einen regelmäßigen Kontakt zu Stefan Zweig pflegen und nach dessen Tod im Buch A morte de Stefan Zweig seine Überlegungen zum Selbstmord des österreichischen Schriftstellers festhalten.
Für die Serpa Pinto war es keineswegs das erste Mal und sollte auch nicht das letzte Mal bleiben, das sie Flüchtlinge des Nationalsozialismus aus dem für diese lebensgefährlich gewordenen Europa ins sichere Amerika brachte. Denn während des Krieges gehörte die Serpa Pinto zu den wenigen Passagierschiffen, die bis zum Schluss die Verbindung zwischen Rio de Janeiro, Lissabon und New York aufrechterhielten. Für diesen mutigen Einsatz zur Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen Portugal und Brasilien ging sie als "navio herói" (Heldenschiff) und "navio de amizade" (Freundschaftsschiff) in die Geschichte ein. Viele jüdische Flüchtlinge erreichten auf der Serpa Pinto ihr neues Zuhause in Nord- und Südamerika. Die Flucht nach Rio de Janeiro war auf diesem Weg u.a. auch der Familie von Jorge Mautner und dem Wissenschaftlerehepaar Regine und Fritz Feigl geglückt.
Im Frühjahr 1942 sollte sie jedoch zum Schicksalsschiff für Nationalsozialisten und Juden gleichermaßen werden. Die bewegende Geschichte der beiden Atlantiküberquerung, einmal von Rio de Janeiro nach Lissabon und dann von Lissabon nach New York erzählt Rosine De Dijn in ihrem Buch Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro – Lissabon – New York 1942.
Im Mai 1942 brachte der Kapitän Américo dos Santos eine ganz besondere Gruppe von Passagieren von Brasilien nach Europa. Es waren so genannte Auslandsdeutsche mit ihren deutschstämmigen brasilianischen Familien, die, nachdem sie in Santa Catarina als Diplomaten des Dritten Reiches tätig gewesen waren, nun „heim ins Reich“ und sich dem Krieg für den „Führer“ anschließen wollten.
Anhand von Tagebüchern, Briefen, Interviews mit Zeitzeugen und historischen Abhandlungen zeichnet Rosine de Dijn auf spannende Weise die Lebenswege zweier Familien aus dieser Gruppe von deren Auswanderung nach Brasilien Mitte des 19. Jahrhunderts bzw. in der Wirtschaftskrise der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts über das schwierige Eingewöhnen im tropischen Land bis hin zur Entwicklung, die im Entschluss zur Rückkehr in die alte Heimat mündete, nach.
Denn obgleich es den Auswanderern gelang, sich in Brasilien eine neue Existenz aufzubauen und dort Wurzeln zu schlagen, wurden doch die deutsche Kultur, Essgewohnheiten und Tradition in Geschäften, Vereinen und regelmäßig erscheinenden Presseorganen deutscher Sprache weiter gepflegt und hochgehalten. In einer solchen Umgebung übte der Nationalsozialismus auf viele eine große Anziehungskraft aus und fand zahlreiche Anhänger.
Umso schwieriger gestaltete sich die Situation im diktatorischen Regime von Getúlio Vargas, das sich zu Beginn bezüglich des Krieges zwar neutral gab, gegenüber den nationalen Minderheiten aber eine strenge Nationalisierungspolitik vertrat. Die im Verlauf des Krieges besonders davon betroffene deutsch-, italienisch- und japanischstämmige Bevölkerung wurde in ihrer Bewegungsfreiheit und ihrem Sozialleben stark eingeschränkt. Unter anderem wurden Publikationen, Schulunterricht und Gottesdienst in fremder Sprache untersagt ebenso wie Vereine und Institutionen der nationalen Minderheiten verboten. Hinzu kamen Verhaftungen und Internierungen infolge des Verdachts, als Angehörige der Achsenmächte eine Fünfte Kolonne zu bilden.
Es verwundert daher nicht, dass Gustav Buchholtz, einer der Protagonisten, folgende Gedanken in sein Tagebuch dazu notierte: „Wir sind in Brasilien, fern vom Kriegsschauplatz. Die Tendenz der Hiesigen ist aber gegen uns, das spüre ich in allen Fingerspitzen. Sie lieben uns nicht, sie haben Angst vor uns. Wenn Deutschland den Krieg verlieren sollte, das wäre furchtbar! Mit Gottes Hilfe wird Deutschland siegen […]. Allen voran ›unser‹ Adolf Hitler!!! […] Wir hier draußen im Ausland können leider weiter nichts tun, als stolz sein auf Deutschland und stolz darauf, dass wir Deutsche sind. Aber laut dürfen wir unserer Freude keinen Ausdruck geben, denn: Brasilien ist neutral!! Nur die Schmierblätter von Zeitungen dürfen offen Hetzartikel bringen und unseren Führer und seine Männer beschmutzen, doch wir dürfen uns nicht mal offen freuen über die einzig in der Weltgeschichte dastehenden Taten unserer jungen Wehrmacht.“ Der Entschluss, in die Heimat zurückzukehren, war somit nur eine logische Konsequenz, zumal man auch aufgrund der Maßnahmen des Vargas-Regimes die Zukunft der in deutschem Brauchtum erzogenen Kinder in Brasilien gefährdet sah.
Während für die Auslandsdeutschen die Ozeanüberquerung als glückliche Tage mit Festessen und Äquatortaufe in Erinnerung blieb, wurde die Serpa Pinto nur einige Tage später, Anfang Juni 1942, zum letzten Rettungsanker für fast 700 Flüchtlinge, größtenteils Juden, darunter Marcel Duchamp, Simone Weil und Pierre Dreyfus, dem Sohn von Alfred Dreyfus. Diese Fahrt nach New York in die Freiheit war ungleich beschwerlicher für viele der Passagiere.
Wie im Fall der Auslandsdeutschen veranschaulicht Rosine De Dijn mithilfe der ausführlichen Darstellung der Geschichte zweier jüdischer Flüchtlinge aus Belgien, das Schicksal dieser Passagiergruppe. Einfühlsam hält sie die erschütternde und traumatisierende Flucht durch ein zunehmend antisemitisch geprägtes und von den Nationalsozialisten besetztes Europa fest. Noch Jahre später werden die Schreckenszenen lebendig, mit denen die Kindheit der Protagonisten ein jähes Ende fand. „Sie nahmen uns alle ins Kreuzverhör. Sogar meine kleine 9-jährige Schwester Mireille wurde befragt, und man drohte ihr, sollte sie lügen, mit einem lichterlohen Höllenfeuer.“
Die genauen Erinnerungen kamen den Protagonisten teilweise erst im Zusammenhang mit dem Buch: „Ich weiß nicht, was mir besser bekommt, die Büchse der Pandora geschlossen zu halten oder sie zu öffnen?“ Dass Schweigen im schlimmsten Fall zum Selbstmord führen konnte, war eine ihnen bekannte, schmerzliche Erfahrung. Man wusste, dass die gelungene Flucht mit der Serpa Pinto keine Selbstverständlichkeit war. „Wir hatten verdammt Glück, […] verdammt viel Glück.“
Rosine De Dijns Aufzeichnungen enden keineswegs mit dem Erreichen des jeweiligen Zielhafens. Vielmehr lässt sie den Leser an der Enttäuschung der Auslandsdeutschen über die alte Heimat und über den schlecht gedankten Einsatz fürs Vaterland, die nach dem Krieg schließlich wieder zur Rückkehr nach Brasilien führte, weil die Ehefrauen und Kinder dem Pass nach ohnehin Brasilianer waren, ebenso teilhaben wie am schwierigen Neuanfang der jüdischen Flüchtlinge in den USA. Ferner schildert die Autorin auch die Bedrohungen durch die deutsche Kriegsmarine, der die Serpa Pinto und ihr Kapitän Américo dos Santos nach 1942 noch ausgesetzt waren. So entging das Schiff 1944 nur knapp der Versenkung.
Mit ihrem ergreifend geschriebenen Buch über das „Schicksalsschiff“ Serpa Pinto hat Rosine De Dijn daher nicht nur ein bisher unbekanntes Stück Zeitgeschichte für ein breites Publikum offen gelegt, sondern auch die deutsch-brasilianische Geschichte um einen wichtigen Aspekt ergänzt.

Marlen Eckl

Klicken Sie hier, um eine Rezension in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung (12.3.09) zu lesen